Montag, 30. September 2013

HALB ALP – HALB ANGST 10

Von unten betrachtet sieht der Berg wieder unnahbar aus, man schaut an ihm hoch und denkt dabei an seinen Physiotherapeuten. In der Realität angekommen, werden wir von Lobpreisungen auf unser Land und leichten Verbrennungen bis Stufe zwei begrüsst, das Postauto kurvt unbarmherzig in alle Richtungen und alte Leute reden das, was man von ihnen erwartet. Der Frieden ist teuer, er kostet viel, oftmals soviel, dass man lieber auswandern würde, aber dort ist dann eben nicht immer Frieden und das viele Olivenöl an allem verdirbt einem den Magen. Die freien Plätze in unserem Land würden den Alten immer seltener angeboten, obwohl sie ihr Leben lang geackert haben und was nicht alles, die Jugend sei verzogen und irgendwie halb bewusstlos, sie reagiere nicht auf das Zwicken und Sticheln, das sich früher bewährt habe. Zuhause riecht es nach Abwesenheit, wir halten Ausschau nach Röschti und Schweinsschnitzel, wir sehen im Augenwinkel ein Glas Cola, aber dort ist Nichts. Wir blicken den Menschen in der Stadt aufmerksam in ihre Gesichter, wollen sie uns etwas sagen? Sind ihre Gesichter voller potentieller Information und jedes Blickes wert? Alles regt und zuckt und windet sich auf unserer empfindlichen Netzhaut. Bald wird uns das zuviel und wir beginnen wieder mehr in uns hinein zu blicken, dort weiss man wenigstens, bei wem man sich beschweren kann, wenn einem die Aussicht nicht gefällt. Die Dichte der Stadt presst uns zurück in unsere ursprüngliche Form – wir müssen uns wieder gut leiden können mit den Zusätzen, die uns zieren. Ich lebe vegan und ich lebe moralisch vertretbar. Ich trinke nicht oder ich trinke immer viel zu viel. Der russische Botschaftsschutz kreuzt hinter mir auf und ab, weil ich eine Meinung habe. Ich bin dran am Geschehen. Aktivist weil ich es mir wert bin. Die einfachsten Gleichnisse legen sich quer in meine Kehle, weil ich bin mit der Ausschmückung meines Menschendaseins beschäftigt. Ich ersticke hier in meinem Koketteriekorsett, man helfe mir. Das Auge ist von der geringen Distanz der Häuserzeilen beleidigt und will schon wieder zu tränen beginnen. Doch ich drücke die Faust fest drauf, wir passen doch so gut zusammen, verpasse mir einen Schlag auf den wunden Punkt, die Alpen sehen schon wieder aus wie eine Theaterkulisse, hier ist die Bühne, frisch beschneite Berge und sehr gescheite Menschen vorne dran.  

Sarah Elan Müller 

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